Das innere Kind aus Sicht der Individualpsychologie: Ein vergessenes Gefühl, das uns lenkt
Wenn heute etwas in dir überreagiert – wenn du dich plötzlich zurückgewiesen, klein oder machtlos fühlst – dann ist es oft nicht dein erwachsenes Ich, das da reagiert. Es ist ein jüngerer Anteil in dir.
Ein Gefühl aus der Vergangenheit. Ein altes Bild von damals. Eine Erinnerung daran, wie es sich angefühlt hat, nicht gesehen, nicht gehört oder nicht verstanden zu werden.
Die Individualpsychologie spricht in diesem Zusammenhang nicht direkt vom „inneren Kind“, wie es in der modernen Psychologie oft populär ist, sondern von einem Lebensstil– aber sie beschreibt genau das:
Alfred Adler ging davon aus, dass wir uns bereits als kleines Kind ein Bild von der Welt, von den anderen – und vor allem von uns selbst – machen. Dieses Bild entsteht nicht bewusst, sondern emotional. Und es begleitet uns durchs Leben.
Der Lebensstil ist so etwas wie die innere Landkarte, die du dir in deiner Kindheit gebaut hast:
– Ich bin…
– Die Anderen sind…
– Das Leben ist…
Vielleicht hast du gelernt, brav und angepasst zu sein, um keine Konflikte auszulösen.
Vielleicht hast du dich stark und unabhängig gezeigt, weil niemand da war, der dich wirklich gehalten hat.
Vielleicht hast du geschwiegen, weil du das Gefühl hattest, deine Gefühle seien zu viel.
Und genau hier begegnet uns das innere Kind.
Und zwar als eine tief verankerte emotionale Logik, die bis heute unser Denken, Fühlen und Handeln prägt.
Die gute Nachricht:
Die Individualpsychologie zeigt Wege auf, wie wir diesen alten Lebensstil bewusst machen können. Wie wir unsere frühen Schlussfolgerungen prüfen, unsere Kindheit verstehen – ohne in ihr stecken zu bleiben.
Denn jeder Mensch hat die Fähigkeit zur Veränderung in sich.
Nicht, indem wir unser inneres Kind „wegmachen“, sondern indem wir in Beziehung mit ihm gehen.
Indem wir dem kleinen Ich von damals heute sagen:
„Ich sehe dich. Ich verstehe, warum du so gehandelt hast. Und heute bin ich da – für dich.“
Das ist die Kraft der Individualpsychologie:
Sie verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart – und eröffnet uns die Freiheit, neu zu wählen, wie wir leben und lieben wollen.